Puh, was war das für ein Trip!?! Still und leise habe ich mich für eine Woche aufgemacht in Richtung Osten und mir letztlich einen lang gehegten Wunsch erfüllt:
Ein Besuch in Tschernobyl…

Um die Frage gleich mal zu beantworten: Weil es mich schon lange Zeit fasziniert hat. Außerdem sollte es jedem, der sich die Fotos anschaut bewusst werden, dass ein einzelnes Atomkraftwerk nur um Haaresbreite den halben Kontinent für Jahrtausende unbewohnbar gemacht hätte. Trotzdem gibt es allein in Europa heute noch knapp 200 Reaktorblöcke…

Soviel zum moralischen Teil. Seit vielen Jahren stand ein Besuch der Zone ganz weit oben auf meiner Lebens-To-Do-Liste. Es gab aber immer gute Gründe, die dagegen sprachen (Zurechnungsfähigkeit, Gesundheit – solche Sachen eben). Doch You only live once – heißt es – und als ich vor einigen Monaten zufällig über eine Werbeanzeige einer Fototour nach Tschernobyl gestolpert bin, dauerte es gefühlt etwa 15 Minuten und die Buchung war save…

Dann begann die lange Wartezeit. 4 Monate Vorfreude, ganz für mich allein. Bis auf eine handvoll Personen wusste bis zu meiner Wiederkehr niemand, wo ich bin. Was wahrscheinlich auch besser so war. Damit erspart man sich viele Erklärungen.

Da die anderen Teilnehmer zum Großteil aus Berlin und Norddeutschland kamen, flog ich – von Nürnberg über Paris – zum Treffpunkt nach Warschau. Allerdings schon zwei Tage früher, um mir die polnische Hauptstadt in Ruhe anzuschauen. Man kann sagen, es ist ein nettes Städtchen. Allerdings auch nicht wirklich zu vergleichen mit Paris, London oder New York.

Am Samstag Abend um 21:30 Uhr ging es 900 Km im überladenen Sprinter zum nächsten Zwischenstopp: KIEW! Da das Motto der Reise „Lost Places“ war – besuchten wir erstmal ein nicht fertig gebautes Gebäude und anschließend noch ein altes NKWD Gefängnis, bevor es zum Check In ins Hotel ging.

Am nächsten Tag hieß es noch schnell letzte Besorgungen machen und Abends noch einen kurzen Abstecher auf den Majdan! An den Ort, wo vor ziemlich genau einem Jahr der Konflitk zwischen der Ukraine und Russland begonnen hat. Man merkt an der erhöhten Polizei- & Militärpräsenz, sowie an den zahlreichen Blumen und Kerzen, wie es hier vor nicht allzu langer Zeit gewesen sein muss. Allerdings hat auch dort inzwischen der ganz normale Alltag wieder eingsetzt…

Dann kam, weswegen wir eigentlich die lange & beschwerliche Reise auf uns genommen haben: Der Weg nach Tschernobyl. In die Zone. Etwa 1,5h nörldlich von Kiew, gelangt man an den ersten Checkpoint. Den offiziellen Einlass zum Sperrgebiet. 30 Km vom Reaktor entfernt und militärisch bewacht. Dort wurden wir einzeln kontrolliert und ohne größere Schwierigkeiten auch rein gelassen. Die erste Hürde war genommen.

Ab hier wurde es interessant. Unser englischsprachiger Guide, der selbst seit 15 Jahren in der Zone lebt, erzählte uns bis zu unserem ersten Stopp die Geschichte über das verlassene Dorf mit der schönen Kirche, dass wir gleich sehen werden. Es ist ein komisches Gefühl zu hören: „Hier ist die Strahlung noch ok, aber bleibt trotzdem in Sicht- und Hörweite!“

Anschließend ging es weiter in das Arbeiterhotel im kleinen Städtchen Namens: Chernobyl
Die Katze war übrigens das erste Tier, das ich gleich nach dem Aussteigen aus dem Bus dort gesehen habe. Ein guter Einstieg…?

Während die Anderen beim Mittagessen waren, ging ich nochmal ein paar Schritte vor unser Hotel. Wortwörtlich ein paar Schritte. Wir durften das Gelände nicht verlassen. War vielleicht auch besser so, denn als ich in Richtung der nahegelegenen Häuser wollte, fiel mir das kleine gelbe Schild im Boden auf. Darauf stand in kyrillisch: Stop – Radioaktivität. Yeay – ein 5* Luxus Ressort war das jedenfalls nicht, wo wir gelandet sind. Zudem war ab 22 Uhr Ausgangssperre und das Hotel abgeschlossen. Es ist eben doch kein Spaß hier, sondern ein radioaktiv verseuchtes militärisches Sperrgebiet. Eines ist mir aber besonders aufgefallen, als ich vor diesem gelb-roten Schild stand und mir mit geschlossenen Augen die Sonne ins Gesicht schien: Ich habe selten solch eine Stille erlebt…

Da es inzwischen Nachmittag geworden ist, ging es bei strahlend (ja, haha) blauem Himmel zur Duga Radarstation. Ein eindrucksvoll großes Teil, dass amerikanische Atomwaffen hätte aufspüren sollen. Oder wie es unser Guide mit russischen Akzent ausdrückte: „Huge. Expensive. And useless.“

Es wurde allmählich dunkel und zunehmend kälter. Es war an der Zeit ins Hotel zurück zu fahren. Die erste von drei Nächten in Tschernobyl lag vor uns. 14 Km vom Kraftwerk entfernt. Das kann ja was werden! Ich hab geschlafen wie ein Baby…

Am nächsten Tag ging es früh weiter nach Prypjat, der Arbeiterstadt in der einst etwa 50.000 Menschen lebten. Wem STALKER oder COD ein Begriff ist, der wird einige markante Punkte kennen. Am bekanntesten ist wohl das Ortschild, das Schwimmbad und das gelbe Riesenrad. Zum 1. Mai 1986 war hier ein Volksfest vorgesehen. Am 26. April explodierte der 3 Km entfernt gelegene Reaktor. Zwei Tage später wurden 50.000 Menschen in über 1.000 Bussen aus der Stadt evakuiert. Sie kamen niemals zurück und das Riesenrad hat sich bis heute kein einziges Mal gedreht…

Zum Abschluss des Tages machten wir noch einen Zwischenstopp in einer alten Militärfabrik – der Jupiter Station – bevor es zum eigentlichen Höhepunkt der Reise ging: Das Atomkraftwerk Chernobyl mit dem explodierten Reaktor #4. Ein wirklich komisches Gefühl dort zu stehen. Eine Mischung aus Ehrfurcht, Angst, Wehmut und Freude (endlich da zu sein und es live zu sehen – also nicht falsch verstehen).

Am letzten Tag ging es noch einmal nach Prypjat zu einer alten Polizeistation und danach zum Wasserreservoire am Kraftwerk mit der alten Fischzuchtanlage. Anschließend nochmal ins Hotel, Koffer holen, Klamotten & Schuhe wegschmeißen, den radioaktiven Staub mit vielleicht radioaktivem Wasser abspülen und ein letztes mal im Hotel essen. Dann lag wieder eine Nacht im Bus vor uns und es ging zurück Richtung Westen, nach Warschau wo sich unsere Wege wieder trennten. Von dort aus war es über Paris auch nicht mehr sehr weit nach Nürnberg und letztendlich – nach 7 Tagen, 30h und knappen 3.000 Km – nach Amberg!

Wen es interessiert:
Die Strahlung in dem Gebiet variiert natürlich und ist von harmlos/normal (0,12 ySv/h) stellenweise auf 60 ySv/h angestiegen. Beim Kraftwerk selbst lag sie bei etwa 2 ySv/h.
Kurz vor der Abfahrt zeigte mein Dosimeter nach drei Tagen 0,01 mSv Die „normale“ Jahresdosis beträgt bei uns 1 mSv/Jahr. Somit habe ich 1% der Jahresdosis abbekommen. Bei den Flügen hin & zurück wahrscheinlich nochmal die gleiche Menge. Ich war weitestgehend mit (doppeltem) Atemschutz unterwegs und hab meine Schilddrüse mit entsprechenden Tropfen abgelenkt. Iod haben wir noch als Kinder bekommen, obwohl das schon längst zerfallen sein müsste. Insofern müsste ich eigentlich save sein. Eigentlich…